VERA BONSEN

Aleko u. Francesca da Rimini 
von S. Rachmaninow - Oldenburgisches Staatstheater 2002

- Pressestimmen -
Zeitung: 'Aufgesogen und weggespült'
Katja Czellnik inszeniert Rachmaninows "Aleko" und "Francesca da Rimini" am Oldenburgischen Staatstheater Oldenburg. Ein hellblaues Korsett bindet sie an ihr Vehikel. Rastlos rollert die uniformierte Nomadengarde in eierpappigem Reifrock, der den Bürostuhl unterm Hintern zum kindlich unschuldigen Traumgefährt verkleidet, über die Bühne. Gefängnis und Gehfrei, Wagen und Wiege verschmelzen in diesem Mischwesen aus Mensch und Mobil.
Katja Czellnik hat in Oldenburg zwei Einakter von S. Rachmaninow zu einer faszinierenden Fabel über das Kräftespiel von Freiheit und Fessel, Liebe und Besitzanspruch in der fortgeschrittenen Machbarkeits- und Möglichkeitsgesellschaft geformt. Schon die Tatsache, das Aleko und Francesca da Rimini Opern mit gewaltiger visionärer Klangmacht nur selten auf der Bühne zu erleben sind, lohnt den Weg nach Oldenburg. Ein Muß für Neugierige ist diese mutige Produktion durch die intensive Inszenierungsarbeit der in Oldenburg bestens bekannten und inzwischen weithin hochgeschätzten jungen Regisseurin.
K. Czellnik schweißt die beiden Stücke um die Liebe als frei vagabundierende Wunscherfüllung und als ferne unerfüllte Vision auf eigene Weise zusammen. Dabei fallen Zigeunerkulisse im einem und Hölleninferno im anderen Fall einer eher abstrahierenden Fabelwelt zum Opfer. Der Besucher wird von einer metaphorischen Bildsprache ( Bühne und Kostüme: Vera Bonsen) überwältigt, die mit Konsequenz im Konzept und Detailreichtum größte Assoziationsräume öffnet. Hatte die formstrenge Regisseurin in ihrer früheren Oldenburger Arbeit schon mal Gefühle von der Geometrie verschlucken lassen, entbindet sie diesmal mit Abstraktion und choreographischer Disziplin größte Ausdruckskraft.
Traum und Wirklichkeitszumutung, globale Allmachtsfantasien der Kindheit und Liebe und das Fatum des individuell Unbeherrschbaren prallen in die Menge anonymer Monaden aufeinander, die sich mal wie Lemminge, mal wie Spielfiguren, mal wie Autoscooter bewegen. Umspült wird die teils quälende Motorik von einer sich auftürmenden Welle links und ihren züngelnden Ausläufern am rechten Bühnenrand: Rahmen aus Fatum und kosmischem Kreislauf, der die umtriebigen Einzelschicksale um Liebe und Eifersucht, Glück und unglückseligem Glückserinnern relativiert.
Katja Czellnik gelingt es in großer Nähe zur musikalischen Struktur, die breiten Gedankentiefen und mythischen Tableaus zu zeichnen, aber auch den Protagonisten der beiden Dreierbeziehungen Raum für blutvolle Melodramatik zu öffnen. Robert Woroniecki glänzt in beiden Tenorpartien, Henry Kiichli gibt einen vielschichtigen Mörder aus nicht nur verlorener Ehre, sondern vor allem getötetem Liebeswunsch, Alexia Basile ist eine beeindruckend souveräne und auch stimmlich feste Semira. Susanne Schubert meistert die enormen Höhen der Francesca Partie achtbar, auch Bernard Lyon gibt dem grüblerischen Lanciotto dramatische und philosophische Tiefe. Mit gewohnter Präzision agiert Fritz Vitu als der "Alte" Die Entbindung des Chores von Bewegungsaufgaben- eine vielköpfige Statisterie ließ die Bürostühle rollen- wirkte sich höchst positiv auf das Klangbild dieser tragenden Säule der Rachmaninow Opern aus…
Es bleibt die Erinnerung an eine reiche Auseinandersetzung mit archaisachen Stoffen, die Aktualisierung in zugespitzter Allegorie findet. Die mobile Gesellschaft von heute schickt ihre Nomaden samt Bürostuhl auf rastlose Reisen.. In mechanischer Uniformität zelebrieren sie ihre ritualisiert unruhige Fortbewegungskultur. Die Grenze zwischen kreativem Spiel und verinnerlichter Dressur sind fließend.
Freier Wille und schicksalhafte Verstrickung haben das gleiche Design.
Wer diese Stücksicht nicht geilt oder ihr Ergebnis nicht mag, muß nicht unbedingt klatschen, K. Czellniks handwerklich großartige Inszenierung, wie in Oldenburg geschehen, mit Buhs zu quittieren, ist pure Pöbelei.