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EDUARD - Wilfried Hillers Mörike
Oper am Kieler Opernhaus 2001
- Pressestimmen -
Schleswig-Holsteinische Landeszeitung (Christoph Kalies)
Kopfgeburten eines Einsamen
Es ist dunkel. Still. Dann ein Schlurfen. Von rechts nach links. Von vorn nach hinten. Sohlen schleifen auf Holz.
Von irgendwoher fahles Licht. Ein Mann im schwarzen Gehrock. Langes glattes Haar. Links gescheitelt. Nickelbrille. Hängende Schultern, der Blick gesenkt. Eduard. Eduard Mörike. Der Dichter. Schlurft durch die dunkle Landschaft seiner Seele. Singt eine lange klagende Melodie. Ganz allein.
Regisseurin Katja Czellnik hat für ihre Kieler Inszenierung das Libretto von Wilfried Hillers 1999 in Halle uraufgeführter Oper „Eduard auf dem Seil“ beim Wort genommen:
Da alle Figuren der Fantasie Eduards entspringen, sehen auch alle aus wie Eduard: Schwarzer Gehrock, langes glattes Haar, links gescheitelt, Nickelbrille, hängende Schultern, gesenkter Blick. Eduards tote Ichs bevölkern die schwarze Bühne, die links in einen Hügel übergeht, auf dem Kirchenkanzeln liegen wie Särge ( Ausstattung: Vera Bonsen).
Bis zu 80 Statisten, Choristen und Kinderchormitglieder dirigiert Czellnik durch die Szenerie, formt daraus beeindruckende Bilder von Verlorenheit, Aggression, Frömmelei und sexueller Obsession.
Aber auch die einzelnen Charaktere, die Eduards Fantasie entspringen, sind Eduard.
Die böse Fee Briscarlatina, die geheimnisvolle Geliebte Peregrina, die Wirtin, das Kind Xaver, der Abt.- alle sind Eduard. Schwarzer Gehrock, langes, glattes, links gescheiteltes Haar, Nickelbrille, schleppender Gang, hängende Schultern, gesenkter Blick. Nur manchmal, aber dann um so wirkungsvoller, reißt der Einheitslook auf. Dann tragen manche Eduards einzelne Kleidungsstücke einer Braut. Oder schleppen weiße Hausratsgegenstände. Doch immer wieder wird Eduard auf sich selbst zurückgeworfen.
Das macht es bisweilen schwer, Figuren und Episoden auseinander zu halten.Wozu auch: auf der Bühne entfaltet sich innerhalb von 75 Minuten atmosphärisch dicht die düster-schemenhafte Traumwelt eines Mannes, der daran zerbricht, leben zu wollen ohne leben zu können.
Hier die Pflicht des Pastors, dort die Träume des Dichters. Hier der Wunsch, gottgefällig zu leben, dort das Verlangen, auszubrechen, der eigenen Isolation zu entfliehen. Mag sein, daß es dem historischen, Mörike (1804-1875) so ging. Auf jeden Fall geht es der Hauptfigur auf der Bühne so.
Und ihre Kopfgeburten formt Katja Czellnik zum ungemein beklemmenden, Mitleid erregenden Psycho-gramm. Am Ende ist Eduard wieder allein. Schlurft im stillen Dunkel über die Bühne.
Burkhard Ulrich verleiht dem Ur-Eduard enorm bedauernswerte Züge, tappt hilflos suchend umher mit mal fragendem, mal verzweifeltem Gesichtsausdruck. Sein Tenor changiert wandlungsfähig zwischen stillem Weltschmerz und trauriger Wut. Eine Idealbesetzung.
Auch Cornelia Zach überzeugt als Briscarlatina mit kühnen Melodielinien, Jennifer Arnold glänzt als Peregrina mit geheimnisvoll dunklem Alt, Marita Dübbers überzeugt als Wirtin, Louise Kinner mit zarter Kinderstimme verströmt Unschuld als Xaver. Opernchor und Kinderchor zeigen sich ebenfalls s bestens disponiert. Auch aus dem Orchestergraben erklingen Glanzleistungen…
Die eigens für die Kieler Fassung vertonten Verse Mörikes stellen das Ganze in einen noch engeren Bezug zum Dichter Mörike...
…die düstere Tapetenwüste, in der Katja Czellnik und ihre Ausstatterin Vera Bonsen diesen Eduard geschickt haben, ist ein Ort, an dem er immer nur sich selbst begegnet, an dem es von treffsicher eingearbeiteten Gothic-Motiven ebenso wimmelt wie von schlagenden Regieeinfällen, an dem spätestens in dem Moment, in dem aus den Oberkörpern der stets vielfach vorhandenen Dichterpersönlichkeiten deren ungelebte wünsche wie Embryonen hervorbrechen, deutlich wird:
Es ist ein Alien, der hier im Schatten seiner selbst die Bühne bewandert und in Gestalt von Burkhard Ulrich beinahe erschreckend selbstverständlich verkörpert wird. Ein Schlag an den Kopf, ein stockender Gang über den Friedhof der eigenen Vergangenheit und immer wieder der Fall in die Bodenlosigkeit des ungeborenen Ichs: Ulrich be- und entlebt diesen Charakter mit natürlich wirkender Künstlichkeit, verleiht dem Lyriker Eduard Mörike überdies fein nuancierte Stimmgewalt.
Der Tenor bringt hier mit ausgereifter Gestaltungsmacht und zartester Expressivität besonders in der hohen Lage noch einmal die Qualitäten auf den Punkt, an die man sich in Kiel erinnern wird. So wirkt sein Eduard wie maßgeschneidert.
Und so geht die ursprüngliche Gleichung nicht mehr auf. Von jetzt an heißt es: C trifft E- und H macht mit. Das betrifft nicht nur die mit beeindruckendem Resultat umgearbeitete Oper an sich, deren „Revision“ Hiller auf Czellniks Wunsch vornahm. In jeder Hinsicht erstaunlich ist es vielmehr, wie diese scheinbar gegensätzlichen Pole erneut zusammenschmelzen: ein Komponist, der seinen Zuhörern stets eine Geschichte erzählen will, und eine Regisseurin, der nichts ferner liegt als dies. Wo Hiller seinen Eduard erzählend auf dem Seil tanzen läßt, verleiht ihm C. die Scherenhände, mit denen sich der Dichter immer wieder den eigenen Lebensnerv durchtrennt.
Auch die weiteren Folgen des Regieprogramms sind erheblich: So wie das Leben des Dichters in Czellniks Sicht wie ein labyrinthisches Spiegelkabinett erscheint, gerät die Außenwelt an dessen Rand:
Die Wirtin (Marita Dübbers), der Abt (Matthias Klein) und die drei Zofen der schönen Lau, deren Geschichte in der ursprünglichen Fassung der Oper eine zentrale Rolle spielen, sind hier nicht mehr als kurz aufflammende Alter-Ego Fragmente in Mörikes Bewußtsein.. Lediglich der als junger Eduard eingesetzte Xaver schlüpft in die Rolle des stetigen Begleiters. Stattdessen figurieren nun das Schattenwesen Briscarlatina und die unerfüllte Jugendliebe Peregrina als die zentralen Hirngespinste in der Geisteslandschaft des Dichters.