VERA BONSEN

Peter Grimes - Komische Oper Berlin 2003
- Pressestimmen -
 
Süddeutsche Zeitung ( Jörg Königsdorf)
...eine beklemmende, über und über mit Fußmatten bedeckte, spießbürgerliche Gummizelle hat Ausstatterin Vera Bonsen geschaffen. Einen Ort, aus dem es kein Entkommen gibt, ein Gruppenverlies, in das höchstens einmal ( zum Erlösungsmotiv „What harbour shelters peace“?) ein Lichtstrahl dingt. Katja Czellnik füllt diesen Ort mit einer kaum je konkretisierten und daher umso bedrohlicheren Gewalt- alle diese Menschen in ihren Volksbühnen- Retroklamotten, die da auf Fernsehsesseln herumzappeln, und manisch mit den Füßen scharren, sind selbst kurz vor dem mentalen Kollaps ( der Chor der komischen Oper beweist in diesen Gruppenszenen erneut, daß er nicht nur in musikalischer Topform, sondern auch der spielfreudigste weit und breit ist).
Daß sich diese schier unerträgliche Spannung an einem Opfer entlädt, liegt in der Natur gesellschaftlichen Funktionierens, desgleichen, daß dieses Opfer das schwächste und fremdeste Glied ist
…..in seiner musikalischen und szenischen Stringenz ist der Abend eine der stärksten Berliner Premieren dieser Spielzeit
Deutschland Radio Berlin (Uwe Friedrich)
Fußmatten überall. Fußmatten am Boden, an den Wänden, an der Decke. Bloß keine Fischernetze und Boote, kein Strand und keine pittoresken Fischerhäuschen, das haben sich Regisseurin Katja Czellnik und Ausstatterin Vera Bonsen offenbar vorgenommen, als sie ihre Sicht auf B. Brittens Fischerdrama „Peter Grimes“ konzipierten….keine Seeromantik weit und breit. Dieser Verzicht auf jede pseudorealistische Anbiederung ist ein Glücksfall für das frühe Meisterwerk des britischen Komponisten. Denn so wird der Blick geschärft für den Inhalt des Stücks jenseits der Ferienromantik. Und der ist wirklich nicht gemütlich.
Da geht es um Wünsche und Visionen, um Glücksversprechen und Hoffnungen, aber auch um religiös verbrämte Engstirnigkeit, Pogromstimmung gegen Außenseiter, Neid , Mißgunst und Hass.
Das größte Verdienst der Regisseurin Katja Czellnik ist es, die visionäre Kraft des Fischers Peter Grimes inmitten einer zwanghaften Kleinstadtgesellschaft aufzuzeigen. Mit dem Fallschirm landet er mitten in der geordneten Spießergesellschaft des kleinen Ortes, umarmt schon mal wildfremde Leute aus lauter Freundlichkeit und verstört damit doch nur seine Mitmenschen. …wenn K. Czellnik auch auf Wellen und Seetang verzichtet, so behält sie doch die Gezeitenmetaphorik der Oper bei. Der Komponist hatte einst gesagt, im Grunde seien die Menschen wie das Meer, unergründlich und unbeherrschbar in ihren Untiefen. Mit ihrer minutiösen Chorregie läßt Czellnik die Massen wie eine Flut über die Bühne hereinbrechen. Sie schwemmen alles weg, was sich ihr in den Weg stellt. Als Grimes versucht, für sich und seinen Gehilfen eine Spielzeug-Traumwelt aufzubauen, ziehen immer wieder neue Wellen mitleidlos über die beiden hin und zerstören, was sie aufgebaut haben. Wie eine Springflut branden die Chormassen auf, wenn sie vom betrunkenen Prediger angestachelt werden...
Opernnetz - Kritik zeitgenössischer Musik ( Alban Nikolai Herbst)
...von solchen Zugeständnissen an den Kitsch findet sich in dem Berliner Peter Grimes nichts oder doch ziemlich wenig. Gerade deshalb erlebt, wer sich einzulassen bereit ist, wirklich große Opernmomente.
...doch schon das Bühnenbild ist von schlagender Kraft: der gesamte, riesenhaft wirkende Bühnenraum mit Fußmatten ausgeschlagen - Fußmatten bedecken den Bühnenboden, die Seitenwände, die Decke, der Chor geht darauf, lebt darauf, Dumpfheit der (klein)bürgerlichen Existenz, nur die Warengüter bringen Licht ins Dasein, falsches Licht selbstverständlich.
...das eigentlich Beeindruckende an Czellniks Inszenierung ist nämlich, daß nicht nur die „bürgerliche Masse“ dumpf wirkt, verroht, feige, auch der Held dieser Oper zeichnet sich keineswegs durch emphatische Philanthropie aus...
...Im übrigen hat K. Czellnik das eigentlich tragische Geschehen um den groben Grimes von allem Naturalismus freigepustet, es gibt weder gischtende Meereskulisse noch hübsche, farbige Bootchen. Das Meer ist in uns.
Entsprechend gibt sich der von Vera Bonsen gestaltete Raum nahezu geschlossen; er ist ein symbolisches Herzgefängnis für alle, und alle ergehen sich in repetitiven Bewegungs- mustern, putzen sich ständig die Schuhe ab ( der gesamte, enorm riesig wirkende Bühnenraum ist mit Fußmatten ausgeschlagen, ein Bild, das auch jenseits seiner Symbolik enorme Kraft hat) , zappen ins Publikum und lenken sich auf jede nur denkbare Weise von ihrem Unglück ab, auf das sie Peter Grimes teils mutwillig, teils jedoch allein durch seine Gegenwart immer wieder stößt.